Ein sprechendes Bild: Mit kritischem Blick verfolgt Bischof Franz von Streng die Rede von Zentralpräsidentin Yvonne Darbre an der DV des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes von 1962. | © SKF
Ein sprechendes Bild: Mit kritischem Blick verfolgt Bischof Franz von Streng die Rede von Zentralpräsidentin Yvonne Darbre an der DV des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes von 1962. | © SKF
04.02.2021 – Hintergrund

Auch Bischöfe ändern ihre Meinung – aber langsam

Wie sich die Schweizer Bischofskonferenz im 20. Jahrhundert zum Frauenstimmrecht äusserte

Als «blosse Gehilfin des Mannes» sei die Frau nicht für «Mannesrechte» bestimmt, verkündete die Schweizer Bischofskonferenz 1919 zum Frauenstimmrecht. 1970 tönte es anders: Den Frauen die politischen Rechte zu verweigern, wäre eine Ungerechtigkeit, schrieb der damalige Vizepräsident der Bischofskonferenz.

Mit mehreren kantonalen Volksabstimmungen und zwei überwiesenen Postulaten im Nationalrat kam das Frauenstimmrecht ab 1919 in der Schweiz konkret auf die politische Tagesordnung von Bund und Kantonen. In der Schweizer Bischofskonferenz (SBK), damals geleitet von Jakob Stammler (von 1906 bis 1925 Bischof von Basel und Lugano), wurde am 28. Juli 1919 angeregt, dass die Frage des Frauenstimmrechts «von den Hochwürdigsten Bischöfen autoritativ behandelt werde».1 Dies erfolgte durch einen Einschub in die an der gleichen Sitzung verabschiedete Ansprache an die Gläubigen zum Eidgenössischen Bettag 1919 (siehe Seiten 12/13).

In dieser offiziellen Verlautbarung erteilten die Bischöfe der politischen Gleichstellung von Frauen und Männern eine Absage: «Wir können nicht glauben, dass diese Bestrebungen sich als Glück für die Frau erweisen werden; wir sind vielmehr überzeugt, dass die naturgemässen Aufgaben der Frau darunter leiden müssen und einen empfindlichen Rückschlag auf die allgemeine Volkswohlfahrt zur Folge haben.» Man sollte der Frau nicht «Mannesrechte» aufzwingen, «für welche sie als blosse ‹Gehilfin des Mannes› (vergleiche I. Moses 2,18) nicht bestimmt ist».

Rechte und Pflichten wollten die Bischöfe der Frau nur in ihrer Rolle als «Hausmutter» und besonders als Erzieherin der Kinder zuerkennen. «Nützlich und möglich» sei die Mitwirkung der Frauen in einzelnen Gebieten des öffentlichen Lebens wie dem Schul-, Armen- und Vormundschaftswesen.

Päpstlicher als der Papst

Zehn Jahre später war das Frauenstimmrecht Thema in Kontakten mehrerer Schweizer Bischöfe mit höchsten Stellen in Rom. Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri erklärte den beiden Bischöfen von Chur, Georgius Schmid von Grüneck und Anton Gisler (Weihbischof), der Vatikan werde sich weder dafür noch dagegen einsetzen. Bischof Marius Besson von Lausanne, Genf und Freiburg erhielt von dem Kurienmitarbeiter (und späteren Kardinal) Mons. Giuseppe Pizzardo ein Gutachten, das sich nach Einschätzung der SBK eher befürwortend zum Frauenstimmrecht äusserte. Unter Hinweis auf den Umstand, dass schon mehrere Bischöfe der Weltkirche öffentlich für das Frauenstimmrecht eingetreten seien, brachte Rom – unter anderem in einem Brief des päpstlichen Nuntius an den damaligen Dekan (Präsidenten) der SBK, Bischof Schmid von Grüneck – den Wunsch zum Ausdruck, dass sich die Schweizer Bischöfe nicht grundsätzlich gegen das Frauenstimmrecht äussern sollten. Diese beschlossen darauf, dem Schweizerischen Katholischen Frauenbund (SKF) offiziell mitzuteilen, «dass für jetzt und für die Schweiz als inopportun erachtet werde, für das Stimmrecht einzutreten». Dem Wunsch Roms trugen die Bischöfe insofern Rechnung, als sie auf eine «dogmatische oder ethische Begründung» für ihre Ablehnung verzichteten.2

Dass mindestens einzelne Schweizer Bischöfe in Sachen Frauenstimmrecht konservativer waren als der Vatikan, bestätigte sich nach dem Zweiten Weltkrieg. Als Papst Pius XII. im Oktober 1945 die Italienerinnen zur Teilnahme an den Parlamentswahlen aufrief, verbot der Basler Bischof Franz von Streng als «geistlicher Protektor» des SKF die Veröffentlichung dieses päpstlichen Aufrufs in der Verbandszeitschrift «Die Schweizerin». Wegen dieses bischöflichen Verbots trat die seit zwölf Jahren amtierende Redaktorin Hilde Vérène Borsinger von ihrem Posten zurück, und 1947 gründeten Frauen den Staatsbürgerlichen Verband katholischer Schweizerinnen (Staka), um die politische Bildung der Katholikinnen ohne klerikale Einflussnahme zu fördern. Bischof von Streng liess einen Anlass des Staka für das Frauenstimmrecht in der damals noch als privatrechtlicher Verein organisierten Römisch-Katholischen Gemeinde Basel verbieten.3

Uneinig vor den Abstimmungen von 1959 und 1971

Im Hinblick auf die erste eidgenössische Abstimmung von 1959 bezogen die Delegierten des Frauenbundes unter Führung der späteren ersten Nationalratspräsidentin Elisabeth Blunschy-Steiner am 17. April 1958 erstmals offiziell Position für das Frauenstimmrecht, und das sehr deutlich mit 117 gegen 26 Stimmen.4 Ihre Resolution wurde unkommentiert in der «Schweizerischen Kirchenzeitung» (SKZ) Nr. vom 24. April 1959 (Seiten 204/5) abgedruckt, die damals das amtliche Organ der Diözese Basel war. Der gegen seine erklärte Meinung erfolgte Positionsbezug des Frauenbundes muss Bischof von Streng verärgert haben, jedenfalls ging er nun nicht mehr selber an die Vorstandssitzungen des SKF, sondern liess sich durch einen Mann seines Vertrauens vertreten.5

Von der Bischofskonferenz ist im Vorfeld der Abstimmung von 1959 keine gemeinsame, offizielle Stellungnahme zum Frauenstimmrecht bekannt. Dem Archivar des Bistums Basel, Rolf Fäs, fiel bei der Durchsicht der SKZ-Jahrgänge auf, dass das Thema in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlich häufiger zur Sprache kam als vor den Volksabstimmungen von 1959 und 1971. Das deutet darauf hin, dass die Schweizer Bischöfe sich nicht einig waren und nicht alle die Haltung von Strengs einnahmen, der sich klar als Gegner exponiert hatte.

In der Westschweiz drehte der Wind

Laut dem Artikel von Josef Lang (s. Anm. 3) unterstützte François Charrière, von 1945 bis 1970 Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg, die Westschweizer Sektion des Frauenbunds, als sie sich 1958 für das Frauenstimmrecht aussprach. Das Ja der welschen Frauen hatte eine wichtige Signalwirkung, weil es zwei Monate vor der gesamtschweizerischen Delegiertenversammlung des SKF den Beweis erbrachte, dass sich Katholikinnen für das Frauenstimmrecht engagieren konnten und dabei von ihrem Bischof Rückendeckung erhielten. Nach Einschätzung von Josef Lang hat sich Zentralpräsidentin Blunschy diesen Umstand zunutze gemacht, um mit der richtigen Terminierung die Chancen auf ein Ja des Schweizerischen Verbandes zu erhöhen.6

Der Rücktritt des 83-jährigen Franz von Streng als Bischof von Basel 1967 dürfte den Widerstand gegen das Frauenstimmrecht in der Bischofskonferenz erheblich geschwächt haben. Zu einem einhelligen Ja reichte es aber auch dann noch nicht. Drei Monate vor der entscheidenden Abstimmung vom 7. Februar 1971 heisst es im Protokoll der SBK: «Da die Lage in den Kantonen recht unterschiedlich ist, überlässt die BK es dem Urteil jedes Mitgliedes, ob es eine Erklärung abgeben wird.» Dennoch sei die Bischofskonferenz «nicht abgeneigt, kurz vor der eidgenössischen Abstimmung eine gemeinsame Erklärung in dieser Frage abzugeben.»7 Tatsächlich lag der Generalvikariatskonferenz des Bistums Basel (dem heutigen Bischofsrat) gut drei Wochen vor dem Termin des Volksentscheids ein Entwurf des Frauenbundes für eine Erklärung der Bischöfe zum Frauenstimmrecht vor. Im Protokoll heisst es dazu: «Dieser Text kann aber nicht ohne Änderungen gutgeheissen werden.»8 Eine gemeinsame Erklärung der Bischofskonferenz kam nicht zustande.9

«Jede Art der Diskriminierung widerspricht den Absichten Gottes»

Doch der Wandel in der Haltung der Schweizer Bischöfe zum Frauenstimmrecht war nicht mehr zu übersehen. Ein Beleg dafür findet sich im Bischöflichen Archiv von Sitten. Auf Anfrage der Walliser Vereinigung für das Frauenstimmrecht verfasste Bischof Nestor Adam von Sitten, damals Vizepräsident und ab Juli 1970 bis Ende 1976 Präsident der Bischofskonferenz, am 7. Februar 1970 – genau ein Jahr vor der Abstimmung – eine Stellungnahme zum Frauenstimmrecht10. Adam gibt dieser durchaus eine theologische Fundierung, indem er sich auf das II. Vatikanische Konzil bezieht, das verlangt habe: «Jede Art der Diskriminierung der persönlichen Rechte muss unterdrückt und aus der Welt geschafft werden, da sie den Absichten Gottes widersprechen [sic].» Auch habe das Konzil an das Recht und die Pflicht erinnert, zum Wohl der Allgemeinheit vom freien Stimm- und Wahlrecht Gebrauch zu machen.

«In Anbetracht von so eindeutigen Stellungnahmen wird jeder Kommentar überflüssig», folgert Bischof Nestor Adam. «Da wir das allgemeine Stimmrecht haben, gibt es keinen Grund, die Frauen davon auszuschliessen; ja, es wäre sogar eine Ungerechtigkeit, ihnen die politischen Rechte zu verweigern.» Der nächste Abschnitt des bischöflichen Schreibens klingt fast wie eine Antwort auf die ein halbes Jahrhundert zuvor geäusserten Bedenken der Bischofskonferenz im Bettagsmandat von 1919: «Die Furcht, dass die Mutter durch das Frauenstimmrecht von der Familie abgelenkt werde, ist unbegründet. Im Gegenteil, die Teilnahme der Frau am öffentlichen Leben wird einen wohltuenden Einfluss auf die menschliche Gesellschaft ausüben (…)».

Ob dieser Text damals veröffentlicht wurde oder welche Adressatinnen er als Brief des Bischofs erreicht hat, ist im Archiv in Sitten nicht bekannt.11 Aber die datierte Schreibmaschinenkopie mit dem Namen von Bischof Nestor Adam zeigt, dass die Argumente der Frauenrechtlerinnen und die in Gesellschaft und Kirche geführten Debatten in dem halben Jahrhundert von 1919 bis 1970 nicht spurlos an den Schweizer Bischöfen vorbeigegangen sind.

Christian von Arx

 

Für freundliche Hinweise aus ihren Archiven danken wir Rolf Fäs vom Archiv des Bistums Basel in Solothurn, Sabine Leyat Filliez vom Bischöflichen Archiv des Bistums Sitten und Giovanni Meier-Grandjean, Archivar im Generalsekretariat der Schweizer Bischofskonferenz in Freiburg. Wesentliche Informationen entstammen dem Artikel «Die Katholikinnen und das Frauenstimmrecht» des Historikers Josef Lang im «Pfarrblatt» für den Kanton Bern, Nr. 3/2021.

 

Anmerkungen:

1 Protokoll der SBK vom 28.7.1919

2 Protokoll der SBK vom 3.7.1929

3 Angaben in diesem Abschnitt nach Josef Lang, «Die Katholikinnen und das Frauenstimmrecht», siehe oben.

4 Vgl. die Auflistung «Der SKF und seine Haltung(en) zum Frauenstimmrecht» auf www.frauenbund.ch. Zahlen der Parolenabstimmung gemäss Josef Lang, «Die Katholikinnen und das Frauenstimmrecht».

5 Nach Josef Lang, «Die Katholikinnen und das Frauenstimmrecht», siehe oben.

6 Mitteilung von Josef Lang, 26.1.2021

7 Protokoll der SBK vom 5.11.1970

8 Protokoll der Generalvikariatskonferenz des Bistums Basel vom 15.1.1971. Leider ist der Textentwurf des Frauenbundes im Archiv des Bistums Basel nicht vorhanden (Mitteilung von Rolf Fäs am 25.1.2021).

9 In den im Archiv des Generalsekretariats der SBK gesammelten Akten (Ordner C.5.7 – Déclarations et Communiqué de presse de la CES 1970–1978) ist keine solche Erklärung vorhanden (Mitteilung von Giovanni Meier-Grandjean vom 21.1.2021). – Der Historiker Urs Altermatt schrieb 1992: «In der Frauenstimmrechtsfrage, die 1959 zum ersten Mal zur Volksabstimmung kam, waren die Bischöfe gespalten.» (Urs Altermatt, Schweizerische Bischofskonferenz: die Wende von 1970. In: Miteinander – Für die vielfältige Einheit der Kirche. Festschrift für Anton Hänggi. Basel, 1992, [Seite 79]).

10 Archives de l’Evêché de Sion (AES), Aktenzeichen 456, Nr. 169.

11 Mitteilung von Sabine Leyaz Filliez vom 1.2.2021