Festgefahren: Boot am Ufer der Amazonasgemeinde Santa Rita. | © Bastian Bernhardt/Adveniat
Festgefahren: Boot am Ufer der Amazonasgemeinde Santa Rita. | © Bastian Bernhardt/Adveniat
04.11.2019 – Aktuell

«Der Reformstau in der Frauenfrage bleibt bestehen»

Tenor der Reaktionen zur Amazonassynode: Kleine Schritte, die es zu würdigen gilt

Den grossen Durchbruch in der Ämterfrage hat die Amazonassynode nicht gebracht. So gesellt sich zur Anerkennung der kleinen Schritte Hoffnung auf eine weitere Öffnung, aber auch Enttäuschung über das Ergebnis.

 

Zu den Hoffnungsvollen gehört der deutsche Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller: Er ist davon überzeugt, dass die Amazonassynode in die Geschichte eingehen werde als die Synode, mit der das Ende des Pflichtzölibats eingeläutet wurde. «Mit der Empfehlung, bewährte verheiratete Männer zu Priestern zu weihen, ist endgültig der Damm gebrochen, der bisher eine Aufhebung des Pflichtzölibats verhinderte.»

 

Engagierte Frauen vor Austritt

Enttäuscht zeigt sich die Theologin Jacqueline Straub: Die Zulassung von viri probati zur Priesterweihe sei als längst fälliger Schritt zu begrüssen, hält Straub im Blog auf kath.ch fest. Er sei aber nicht mutig, da die bewährten Frauen einmal mehr auf der Strecke blieben. «Der Reformstau in der Frauenfrage bleibt bestehen.» Viele Frauen seien nicht gewillt, noch lange darauf zu warten, dass auch Frauen zu den Weihediensten zugelassen werden. «Viele engagierte Frauen stehen kurz davor, aus der Kirche auszutreten.»

 

Nicht in Stein gemeisselt

Keine grossen Sprünge, aber es hätte auch eine Nullrunde werden können: So das Fazit der Analyse, die Walter Kirchschläger, emeritierter Professor für Neues Testament an der Universität Luzern für kath.ch gemacht hat. Das Synodendokument entwickle eine vielfältige Zukunftsperspektive. Es gehe um ein Um- oder Neudenken in der Pastoral, in der Kultur, der Ökologie und in der synodalen Gestalt der Kirche vor Ort. Das Dokument vermittle einen Einblick in die Realität, in die Hoffnungen und Nöte einer Weltregion, die uns erst die Klimaentwicklung etwas nähergebracht habe. Zündende theologische Ideen seien ausgeblieben, doch zumindest sei gelungen, was lange vergeblich gefordert wurde: «Die Bedingungen für das (Priester-)Amt bleiben nicht in Stein gemeisselt.»

 

Mauer wird bald zerbröseln

Wer eine Mauer zum Einsturz bringen wolle, dürfe nicht mit voller Wucht gegen sie angehen, hält Walter Ludin, Kapuziner, Theologe und Journalist, in einer Kurzglosse bei kath.ch fest. «Die Mauer wird bald zerbröseln. Vor fast 50 Jahren hat uns der österreichische Medienpädagoge Franz Zöchbauer diese Taktik in einem Seminar über Meinungsbildung beigebracht. Ein Beispiel für ein solches Vorgehen erleben wir wohl im Augenblick mit den Ergebnissen der Synode für Amazonien. Die Versammlung griff den Pflichtzölibat nicht frontal an. Doch sie lockerte in dieser Mauer einige Steine.»

 

Es gibt auch andere Stimmen

«Für manche, die sich eine grundsätzliche Aufhebung des Pflichtzölibats und die Zulassung von Frauen zum Priesteramt wünschen, mag dies als ein winzig kleiner Schritt erscheinen», schreibt Sylvia Stam, Redaktionsleiterin von kath.ch, in ihrem Kommentar. Dennoch gelte es, diesen kleinen Schritt zu würdigen. «Denn in der katholischen Kirche gibt es auch andere Stimmen, die mit der Zulassung von ‹viri probati› den Bruch eines Staudamms befürchten.»

 

Rolle der Frau formal anerkennen

Birgit Weiler, deutsche Ordensschwester in Peru, hebt hervor, im Abschlussdokument werde nun formal von der Kirche anerkannt, dass Frauen in Gemeinden seit Langem wichtige Führungsaufgaben wahrnehmen und dass dies künftig vom jeweiligen Bischof auch formal anerkannt und bestätigt werden soll. Bei den Leitungsaufgaben indigener Frauen fliessen laut Weiler soziale Aufgaben, nachhaltiger Landbau wie der Einsatz für Menschenrechte zusammen. Weiler war als Expertin für interkulturelle Theologie zur Synode geladen worden.

Der deutsche Kardinal Reinhard Marx räumte ein, dass die sogenannten «viri probati» stärker thematisiert wurden, als er anfangs dachte. Nun gelte es, vor allem in Amazonien Kriterien für solche Ausnahmen vom Zölibat zu entwickeln. Im Übrigen sei die Kirche frei, ausserhalb des Weiheamtes neue Dienste zu schaffen. Solche seien auch für Frauen denkbar, dazu gehöre auch der ständige Diakonat. «Fragen von Macht und Weihe» seien zu differenzieren. Die Amazonassynode habe ausdrücklich gefordert, Frauen sollten teilhaben an der Leitung der Kirche.

 

Wir brauchen ein Netzwerk

«Wir haben eine Synode des Aufbruchs erlebt», sagt der Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Pater Michael Heinz. «Die alten hierarchischen Strukturen haben sich überlebt. Wie Kirche heute geht, das hat uns das Amazonas-Netzwerk Repam (Red Eclesial PanAmazonica) gezeigt.» Pater Heinz ist davon überzeugt, dass die Kirche in Europa davon lernen könne. «Wir brauchen ein kirchliches europäisches Netzwerk, das die Option für die Armen, für die Jugend und für die Schöpfung auch für unseren Kontinent durchbuchstabiert. In einer Zeit, in der in Europa nationalistische Kräfte die Erderwärmung und den menschengemachten Klimawandel leugnen und gleichzeitig die Kirchen als Verbündete in einem vermeintlichen Kampf gegen den Untergang des christlichen Abendlandes missbrauchen, ist es höchste Zeit für ein kirchliches Bekenntnis zu Europa.»

Regula Vogt-Kohler

 

Verheiratete Priester, aber nur in Ausnahmefällen