09.07.2020 – Editorial

Denk mal

Sie stürzen in diesen Tagen des Aufruhrs eines nach dem anderen: Denkmäler von Personen, deren Verhalten nach heutiger Betrachtungsweise als unakzeptabel erscheint. Erwischt hat es unter anderem Christoph Kolumbus, den Entdecker von Amerika, den belgischen König Leopold II., der den Kongo mit tödlichen Folgen für Millionen von Menschen ausgebeutet hat, und Johann August Sutter, der nach einem betrügerischen Konkurs aus der Schweiz floh, Frau und Kinder der öffentlichen Fürsorge überliess und sich im fernen Kalifornien an der Vertreibung und Dezimierung der indigenen Bevölkerung beteiligte.

Mit den Statuen verschwinden die Figuren als sichtbare Steine anstössiger Verehrung, doch dies kann ihre Handlungen nicht aus der Welt schaffen. Und ebenso sehr gilt das für die Glorifizierung zumindest fragwürdiger Helden durch die Nachwelt. Zum Denkmal kann eigentlich alles werden, doch oft verbinden wir auch heute noch den Begriff mit monumentalen Darstellungen von Personen oder Ereignissen, die wir als herausragend einstufen. Dies entspricht der Sichtweise von Martin Luther, der den Begriff «Denkmal» in dieser Bedeutung in die deutsche Sprache eingeführt hat.

Aus einer neutralen Optik wäre es unbestritten, dass Christoph Kolumbus als Personifizierung der Entdeckung Amerikas zum Gegenstand eines Denkmals geworden ist – und dies auch bleiben darf. Er hat mit seiner Ankunft in der Karibik 1492 die Welt grundlegend verändert, daran gibt es nichts zu rütteln. Das Problem dabei ist natürlich, dass die negativen Folgen, die Vernichtung eines grossen Teils der Urbevölkerung durch eingeschleppte Krankheiten und Gewalt sowie die Verschleppung von Millionen von Afrikanern als Sklaven, völlig ausgeblendet wurden. Und nicht nur dies: In den Augen der Eroberer sind die Ureinwohner Wilde, ohne Kultur und Geschichte – und deshalb auch keiner Darstellung würdig.

Dank modernen Techniken lässt sich die vorkolumbianische Vergangenheit wenigstens teilweise rekonstruieren. Im Falle von Johann August Sutter waren keine besonderen Technologien nötig, um seinen Heldenstatus zu hinterfragen. Als es in den 1980-er Jahren um die nun entfernte Statue in Sacramento ging, war Sutters Beteiligung an Verbrechen an der indigenen Bevölkerung bekannt.

Wäre es am besten, auf Denkmäler ganz zu verzichten? In manchen Fällen sicher, und in vielen Fällen wären umfassende Informationen auf einer Gedenktafel wünschenswert. Aber kein Denkmal kann uns davon abhalten, selbst zu denken und uns ein eigenes Bild zu machen.

Regula Vogt-Kohler