Das Gespräch mit einer vertrauten Person kann helfen, die Stimme des Gewissens zu hören und den eigenen Weg zu finden. (Foto: Olga Meier-Sander/pixelio.de)
Das Gespräch mit einer vertrauten Person kann helfen, die Stimme des Gewissens zu hören und den eigenen Weg zu finden. (Foto: Olga Meier-Sander/pixelio.de)
27.01.2018 – Impuls

Deuteronomium 18, 15–20

Mose sprach zum Volk:
Einen Propheten wie mich wird dir der Herr, dein Gott, aus deiner Mitte, unter deinen Brüdern, erstehen lassen. Auf ihn sollt ihr hören. Der Herr wird ihn als Erfüllung von allem erstehen lassen, worum du am Horeb, am Tag der Versammlung, den Herrn, deinen Gott, gebeten hast, als du sagtest: Ich kann die ­donnernde Stimme des Herrn, meines Gottes, nicht noch einmal hören und dieses grosse Feuer nicht noch einmal sehen, ohne dass ich sterbe.

Damals sagte der Herr zu mir: Was sie von dir verlangen, ist recht. Einen Propheten wie dich will ich ihnen mitten unter ihren Brüdern erstehen lassen. Ich will ihm meine Worte in den Mund legen, und er wird ihnen alles sagen, was ich ihm auftrage.

Einen Mann aber, der nicht auf meine Worte hört, die der Prophet in meinem Namen ­verkünden wird, ziehe ich selbst zur Rechenschaft. Doch ein Prophet, der sich anmasst, in meinem Namen ein Wort zu verkünden, dessen Verkündigung ich ihm nicht aufge­tragen habe, oder der im Namen anderer Götter spricht, so ein Prophet soll sterben.

Einheitsübersetzung

 

Das eigene Gewissen sagt, wo es langgeht

Wenn ich mit jungen Frauen über ihre Entscheidung über eine Abtreibung gesprochen habe (vorher selten, nachher öfter), wenn ich mit krebskranken oder depressiven Menschen über Suizid nachgedacht habe (oft), wenn mich alte Leute in ihre Pläne zum Ver- oder Enterben eingeweiht haben, wenn mich Männer (selten) oder Frauen (häufig) nach meiner Meinung zur Ehescheidung gefragt haben, … dann habe ich meistens zugehört und nachgefragt, habe übersehene Aspekte zur Sprache gebracht, habe mit ihnen den Horizont ihrer Fragen ausgeleuchtet, habe Verständnis für ihre Gewissensnot zum Ausdruck gebracht und, wenn Raum dafür war, gefragt, welchen Einfluss ihr Glaube auf ihre Entscheidung habe. Hier und da habe ich so tatsächlich Menschen helfen können, ihren Weg zu finden und mit sich im Reinen zu sein.

Aber es ist mir nie in den Sinn gekommen, jemandem zu sagen, was Gott von ihm oder ihr erwartet. Ich bin kein Prophet, dem Gott sagt, was ich anderen weitersagen soll. Ich bin ein Berater, der hilft, Ordnung in das Chaos einer aufgewühlten Seele zu bringen. Das geht nur, wenn ich ohne eigene Interessen bin in diesem Fall, wenn ich für ehrlich und diskret gehalten werde und dem anderen nicht vorschreibe, wie ihre oder seine Entscheidung auszusehen hat. Mit Glaubwürdigkeit hat das viel zu tun, mit Autorität nichts.

Obwohl – manchmal wäre es recht bequem, wenn man die Frage nach der richtigen Entscheidung an eine verantwortliche Instanz delegieren könnte. «Sag mir, was ich tun muss, damit ich sicher bin, alles richtig gemacht zu haben!» Eine Autorität nimmt mir die Entscheidung ab und schreibt mir mein Verhalten vor. Ich ordne mich unter und gehorche, dafür muss ich mir keine weiteren Gedanken über richtig und falsch machen.
Ob das Volk Israel in der Wüste Sinai tatsächlich eine solche Autorität gefordert (gebeten, sagt der Text) hat, weiss ich nicht, kann aber sein. Wenn einer mit Autorität ausgestattet ist und sagt, wo man langgehen muss, kann das in Gemeinwesen und Völkergemeinschaften besser sein, als sich in endlosen Diskussionen zu zerfleischen und zu keiner gemeinsamen Entscheidung zu kommen. Vielleicht hat ja Moses mit seiner Ankündigung geschickt eine nicht hinterfragbare Instanz geschaffen, ausgestattet mit göttlicher Legitimation und Machtfülle bis hin zum ­Todesurteil für Abweichler und Gegner.

Ähnliche Autorität hat auch die Kirche beansprucht, ganz im Sinne des deuteronomis­tischen Textes. Viele, die anderes als die offi­zielle Lehrmeinung verkündet haben, sind auf Scheiterhaufen verbrannt worden, viele, die ungehorsam waren und eigene Wege beschritten, haben dafür mit ihrem Leben bezahlt, später wurden sie «nur noch» ausgeschlossen aus Kirche, Friedhof und Himmel. Es ist gut, dass Moses der Vergangenheit angehört.

Allerdings wird das eigene Leben schwieriger, wenn man sein Tun und Lassen selbst verantworten muss. Das Miteinander wird auch komplizierter, weil es verschiedene Wege gibt, die anerkannt möglich sind. Und das Gewissen muss man auch selbst tragen. Trotzdem lohnt der eigene Weg. Vielleicht hilft ja manchmal ein Beratungs- oder Beichtgespräch.

Ludwig Hesse