Im Austausch in Gruppen von fünf bis 18 Personen kamen die Eingaben der Basis zustande (Aufnahme vom November 2021 in Allschwil). | © Regula Vogt-Kohler
Im Austausch in Gruppen von fünf bis 18 Personen kamen die Eingaben der Basis zustande (Aufnahme vom November 2021 in Allschwil). | © Regula Vogt-Kohler
17.01.2022 – Aktuell

Für die Kirchenbasis ist die Rolle der Frau am dringendsten

gfs.bern hat die Ergebnisse der Befragung im Bistum Basel veröffentlicht

In der katholischen Kirche besteht ein Graben zwischen der Kirche als Organisation und der Basis der Gläubigen. Die Basis befürwortet mehrheitlich Reformschritte, vor allem die Gleichstellung der Frau. Das zeigen die Ergebnisse der Gruppengespräche im Rahmen des synodalen Prozesses.

Frauen haben in der katholischen Kirche nicht die gleichen Rechte wie Männer, sie werden teilweise ausgeschlossen: Diese Ansicht teilen 77 Prozent der Gesprächsgruppen, die sich im Rahmen der Befragung des Bistums Basel zum synodalen Prozess zu dieser Frage geäussert haben. Auch Menschen in homosexuellen Partnerschaften, Geschiedene und Jugendliche werden in der Realität aussen vor gelassen, findet jeweils eine Mehrheit von 64 bis 56 Prozent.

Das ist wohl die deutlichste Aussage der gesamten Befragung. Denn sie wurde im Themenfeld 1 («Weggefährten») gemacht, zu dem sich mit grossem Abstand am meisten Gesprächsgruppen geäussert haben (59 Prozent der 800 Gruppen). Im gleichen Themenfeld wurde festgehalten, dass vor allem Freiwillige das Leben der Pfarreien tragen (80 Prozent der Antworten). Als weitere Säulen des Pfarreilebens werden Ministrantinnen und Ministranten, ältere Menschen, die regelmässig an Gottesdiensten teilnehmen, sowie Kirchenchöre, Frauengemeinschaften und Jugendgruppen genannt.

Wo man sich gehört fühlt – und wo nicht

In dem am zweithäufigsten (von 39 Prozent der Gruppen) gewählten Themenfeld 2 «Zuhören» kam heraus, dass man sich in der Kirche am ehesten an der Basis gehört fühlt: In Gruppen, in denen man sich selbst beteiligt (72 Prozent) oder bei Führungspersonen von Pfarreien (57 Prozent). Umgekehrt fühlen sich 65 Prozent von Führungspersonen des Bistums nicht wahrgenommen und verstanden, 46 Prozent sagen dasselbe vom Papst.

Nicht weniger als 35 Prozent der antwortenden Gruppen sagten generell: «Wir fühlen uns in der Kirche nicht wirklich gehört.» Diese Frustration brachten auch diejenigen Gruppen (30 Prozent) zum Ausdruck, die ihre Antworten in eigenen Worten formulierten. Laut diesen fühlen sich im Bistum Basel eindeutig die Frauen am häufigsten nicht gehört. Das auswertende Institut gfs.bern fasst den Tenor so zusammen: «Die brennenden Themen sind die Gleichstellung von Mann und Frau, die Akzeptanz von LGBTQI+-Menschen, die Auflösung der Zölibatspflicht, die Zulassung von Frauen und verheirateten Männern zum Priesteramt sowie die Sexualmoral.»

Andererseits wird der Kirche von einer Mehrheit der Antwortenden positiv attestiert, dass sie viele Angebote für Minderheiten hat, dass die Kirchgemeinden sich mit Projektunterstützungen für Randgruppen engagieren und dass an grossen kirchlichen Anlässe niemand ausgeschlossen wird.

Woran liegt es, dass sich in der Kirche so viele nicht gehört fühlen? Die häufigste Antwort (59 Prozent) lautet, dass in den letzten Jahren und Jahrzehnten viele Kirchenmitglieder enttäuschende oder verletzende Erfahrungen gemacht hätten. 55 Prozent nennen auch die Ansicht, es gebe unumstössliche Wahrheiten, über die in der Kirche nicht diskutiert werden dürfe. Weitere Faktoren, die häufig genannt werden, sind etwa eine Bürokratisierung innerhalb der Kirche, unterschiedliche Wertevorstellungen zwischen verschiedenen Gruppen von Mitgliedern, die strenge Hierarchie, aber auch eine schwer zugängliche kirchliche Sprache.

Positive Erlebnisse im Gottesdienst

Am dritthäufigsten, nämlich zu 34 Prozent, wählten die Gesprächsgruppen das Themenfeld «Feiern». Dort stimmt eine grosse Mehrheit der Antwortenden (62 Prozent) zu, dass Gottesdienst und gemeinsames Gebet die Menschen verbinden. Dabei wird eine Reihe positiver Aspekte hervorgehoben: So die durch gemeinsames Vorbereiten geweckte Kreativität, die Vermittlung verbindender Grundwerte, Lebensfreude und Gemeinschaftserlebnis. Auf die Frage, was in den Pfarreien getan wird, um die Teilnahme zu fördern, wird an erster Stelle (von 68 Prozent) die Musik genannt, weiter die persönliche Gestaltung von Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen sowie  Angebote von speziellen thematischen Gottesdiensten und von kindergerechten Elementen.

Zwar äussert nur eine Minderheit Kritik an der Gottesdienstgestaltung oder macht Vorschläge, wie es die Pfarreien besser machen könnten. Allerdings wurde danach auch nicht ausdrücklich gefragt.

Nicht nur Reformer, auch Bewahrer machten mit

Die weiteren sieben der zehn Themenfelder wurden von deutlich weniger Gesprächsgruppen gewählt (zwischen 21 und 30 Prozent aller Gruppen). Die Antworten sind darum weniger aussagekräftig, geben aber dennoch gewisse Hinweise, die nicht überhört werden sollten.

  • In den offenen Antworten zur Frage, wie die Kommunikation innerhalb der Kirche erlebt wird, zeigt sich, dass sich an der Befragung nicht nur Gruppen beteiligt haben, die beispielsweise die Gleichstellung der Frauen vermissen, sondern auch andere, die sich «mehr Orientierung an alten Werten und Gebeten» sowie «mehr Gottesnähe als moderne Seelsorge» wünschen und die «nicht Strukturfragen behandeln, sondern Glaubensfragen vermehrt ins Zentrum stellen» möchten.
  • Auf die Frage, was den Getauften dabei hilft, für das Evangelium, den Glauben und die Kirche einzustehen, erklären 53 Prozent der antwortenden Gruppen, «Veränderungen der Zulassungsbedingungen zum Priesteramt wären eine Unterstützung». Nach dem Leben und Vorbild Jesu sowie der Nächstenliebe ist dies die dritthäufigste Antwort auf diese Frage.

gfs.bern sieht einen grossen Graben

Nebst den Antworten der Dialoggruppen ist auch von Interesse, wie das mit der Auswertung beauftragte Forschungsinstitut gfs.bern die Ergebnisse interpretiert. Den Verantwortlichen der Studie fiel auf, dass die Gesprächsgruppen auf die meist eher allgemeinen Fragen immer wieder konkrete Antworten gaben, die für sie offensichtlich dringlich und relevant seien. Wörtlich schreiben die Studienverfasser/innen: «Zu diesen Spannungsfeldern gehört insbesondere die Rolle der Frau in der Kirche, der Umgang mit Minderheiten oder Lebensformen, die nicht einer traditionellen Vorstellung entsprechen (LGBTQI+, Geschiedene, Wiederverheiratete), oder auch die Art und Weise, wie eine zeitgemässe Gestaltung von Riten und Feiern möglich ist.» Auch junge Leute oder Personen mit Beeinträchtigungen oder mit einem anderen kulturellen oder sprachlichen Hintergrund würden zu wenig mit einbezogen.

In der Wahrnehmung der Dialogteilnehmer/innen bestehe zwischen der katholischen Kirche als Organisation und der Basis der Gläubigen ein grosser Graben, schreibt gfs.bern. Es werde eine gewisse Frustration ersichtlich, weil sich die Gläubigen durch die fehlende Reflexion und Handlung von Seiten der Kirche nicht ernst genommen fühlten. Der Reformstau wirke zunehmend entmutigend und führe zu Resignation. Und: Allen Wünschen nach einer moderneren und progressiveren Kirche zum Trotz gebe es «ganz klar auch Stimmen die sich wieder eine stärkere Rückbesinnung auf traditionelle Werte und Normen wünschen». Viele fühlten sich als gläubige und bekennende Katholiken zunehmend selber marginalisiert.

Abschliessend gibt gfs.bern zu bedenken: «Es scheint für die katholische Kirche absolut zentral, selber eine dezidierte Klarheit davon zu haben, welche Teile organisationell und damit verhandelbar sind und welche Teile unverhandelbar und damit zu erklären sind. Die Dialoggruppen zeigen auf, dass die katholische Kirche ungebrochen eine Basis hat, welche an einem solchen Dialog ausgesprochen interessiert ist.»

So geht es weiter

Die Ergebnisse der Studie von gfs.bern werden nun an einer synodalen Versammlung des Bistums vom 20. bis 22. Januar in Basel diskutiert. Die Versammlung hat den Auftrag, die Ergebnisse der Befragung der Gesprächsgruppen zu einem Schlussbericht des Bistums zu verdichten. Dieser wird am 26. Januar veröffentlicht und anschliessend an die Schweizer Bischofskonferenz eingereicht. Diese wird die Ergebnisse aus allen Diözesen der Schweiz nach Rom weiterleiten.

Die Versammlung in Basel besteht vor allem aus Mitgliedern der Räte und Kommissionen des Bistums Basel und einigen Gästen. Angemeldet sind 93 Teilnehmende, davon sieben mit Funktionen in der Organisation, als Moderatoren oder Vertreter/innen des Forschungsinstituts gfs.bern. Von den 86 eigentlichen Teilnehmenden sind 40 Frauen und 46 Männer, unter letzteren 13 Priester. In der grossen Mehrheit sind die Teilnehmenden auf unterschiedlichen Ebenen in der Seelsorge oder auf Fachstellen tätig. Einzelne sind als Angehörige von Orden und Gemeinschaften, Vertreter/innen des Schweizerischen Katholischen Frauenbunds, Institutionen oder von staatskirchenrechtlichen Körperschaften verschiedener Bistumskantone dabei. Eingeladen ist auch ein christkatholischer Pfarrer als Vertreter der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Schweiz (AGCK).

Gruppengespräche, synodale Versammlungen und Eingaben der Schweizer Bistümer ordnen sich ein in einen weltweiten synodalen Prozess, der von Papst Franziskus ausgerufen wurde und nach kontinentalen Bischofssynoden zu einer Bischofssynode im Oktober 2023 in Rom führen wird.

Christian von Arx

Vollständige Studie von gfs.bern zu den Ergebnissen im Bistum Basel

 

Interview von kath.ch mit Bischof Felix Gmür zu den Ergebnissen der gfs-Studie

Aussagen von Cloé Jans, Leiterin operatives Geschäft von gfs.bern, zur Studie gegenüber kath.ch

Stimmen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern der synodalen Versammlung von 20.–22. Januar in Basel (kath.ch)