Sie haben die Interreligiöse Erklärung zu Flüchtlingsfragen unterzeichnet (von links): Farhad Af­shar, Präsident Koordination Islamischer Organisationen Schweiz; Montassar BenMrad, Präsident der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz; Harald Rein, Bischof Christkatholische ­Kirche Schweiz und amtierender Vorsteher Schweizerischer Rat der Religionen; Charles Morerod, ­Bischof von Lausanne-Genf-Freiburg und Präsident Schweizer Bischofskonferenz; Gottfried Locher, Präsident Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund; Herbert Winter, Präsident Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund. | © Bernard Hallet
Sie haben die Interreligiöse Erklärung zu Flüchtlingsfragen unterzeichnet (von links): Farhad Af­shar, Präsident Koordination Islamischer Organisationen Schweiz; Montassar BenMrad, Präsident der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz; Harald Rein, Bischof Christkatholische ­Kirche Schweiz und amtierender Vorsteher Schweizerischer Rat der Religionen; Charles Morerod, ­Bischof von Lausanne-Genf-Freiburg und Präsident Schweizer Bischofskonferenz; Gottfried Locher, Präsident Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund; Herbert Winter, Präsident Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund. | © Bernard Hallet
12.11.2018 – Aktuell

Christen, Muslime und Juden gemeinsam für Flüchtlinge

Schweizer Religionsgemeinschaften sprechen mit einer Stimme für einen besseren Flüchtlingsschutz

Christen, Muslime und Juden erheben erstmals in der Schweiz gemeinsam ihre Stimme für Flüchtlinge. Die gemeinsame Erklärung der sechs Mitglieder des Schweizer Rats der Religionen formuliert fünf ­Appelle: Schutz vor Ort, legale Fluchtwege, faire und effektive Asylverfahren, Integration und Rückkehr in Würde.

 

Es war ein feierlicher Akt, als die hochrangigen Vertreter der drei grossen Religionen am 7. November ihre Tinte im Empiresaal des Restaurants zum Äusseren Stand in Bern unter die interreligiöse Erklärung setzten. Der Bischof der Christkatholischen Kirche Schweiz (CKS) und Vorsitzende des Schweizerischen Rates der Religionen, Harald Rein, sagte in seinem Eingangswort: «Mit diesem Papier soll ein starkes Zeichen gesetzt werden.»

Die Unterzeichnung der Erklärung soll gemäss Rein zu weiteren fruchtbaren Diskussionen führen und zu einem besseren Flüchtlingsschutz beitragen, der möglichst von einem breiten Teil der Schweizer Bevölkerung getragen werden soll.

 

Stellung beziehen ist Pflicht

Rein erklärte weiter, politisch betrachtet gebe es auf den ersten Blick «keine Pflicht zur Aufnahme aller Flüchtlinge». Jedes Gemeinwesen, auch die Schweiz, müsse selbst entscheiden, wie es sich engagiere. Allerdings, so der Christkatholik, sei es Aufgabe jeder Religion, zur Flüchtlingsfrage ethisch-religiös Stellung zu beziehen. Der Bischof sagte: «Wer seine Religion ernst nimmt, muss auch über ihre gesellschaftlichen Konsequenzen reden können und entsprechend Einfluss nehmen.»

Bei dem Anlass in Bern begründeten die Unterzeichnenden, warum sie sich hinter das Papier stellten. Der Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG), Herbert Winter, sagte: «Flüchtling zu sein, sein Hab und Gut zu verlieren und in ein anderes Land aufbrechen zu müssen, das ist für uns Juden leider nichts Neues.» So sehe er es gemeinsam mit vielen Juden «als unsere moralische Pflicht an, den heutigen Flüchtlingen beizustehen und zu helfen, wo es nur geht.» Diese Verpflichtung sei zudem religiös tief im Judentum verwurzelt.

Der Präsident der Schweizerischen Bischofskonferenz (SBK), Charles Morerod, bezeichnete es als ein «bemerkenswertes Zeichen», dass sich alle Religionsgemeinschaften zu diesem Schritt entschlossen haben. «Ich bin sehr glücklich über die Zusammenarbeit», sagte er.

 

Flüchtlinge sind keine virtuellen Bilder

Auch die Muslime haben an der Entstehung dieser Erklärung mitgearbeitet. Montassar BenMrad, Präsident der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (Fids), sagte zu seiner Motivation: «Flüchtlinge brauchen unseren Schutz. Sie sind nicht bloss virtuell präsent durch Bilder auf unserem Smartphone oder als abstrakte Zahl in einer Zeitung. Sie sind mitten unter uns.»

Für Gottfried Locher, Ratspräsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK), ist es nicht «gottgegeben», dass die Schweiz Frieden und Wohlstand geniessen könne. Der höchste Schweizer Reformierte sagte über seine Motivation: «Es ist jederzeit und überall möglich, dass der Antisemitismus wieder ausbricht. Wir als Evangelischer Kirchenbund wollen das jedoch nicht zulassen.»

 

Das tote Kind am Strand

Der Präsident der Koordination Islamischer Organisationen Schweiz (Kios), Farhad Af­shar, verwies in seiner Stellungnahme auf das Flüchtlingskind, das tot an einen Strand am Mittelmeer angeschwemmt wurde und dessen Bild um die Welt ging. Doch statt Empathie zu empfinden, kritisierte Farhad Af­shar, würden die Religionsgemeinschaften oftmals in religiösen Ritualen erstarren. «Anscheinend haben wir alle vergessen, dass unsere Schwesterreligionen Flüchtlingsreligionen sind», betonte er. Bethlehem sei für ihn keine Kinderlegende mit «niedlichen Schäfchen». Betlehem stehe symbolhaft für die Flucht einer Familie, die niemand aufnehmen wollte.

Auch Bischof Harald Rein ging in seinem Statement auf die Bibel ein und nannte daraus Beispiele von Fluchtbewegungen. Ihm fällt auf, «dass alle Flüchtenden in anderen Kulturen und Religionen eine neue Heimat gefunden haben».

 

Religion bedeutet Heimat

Anja Klug, Leiterin des UNHCR-Büros für die Schweiz und Liechtenstein, wies in ihrer Rede darauf hin, welche wichtige Rolle Kirchen, Moscheen und Synagogen für die Schaffung von Heimat für Flüchtlinge einnehmen. Viele christliche Hilfswerke im In- und Ausland würden dazu beitragen, dass Schutzsuchende erste Kontakte knüpfen und wieder Hoffnung und Sinn finden können. Anja Klug: «Diese interreligiöse Erklärung ist auch ein Ausdruck des Engagements vieler Gläubigen, die an der Basis wertvolle Arbeit für Flüchtlinge leisten.»

Die Erklärung des Rates der Religionen will auch den «Globalen Pakt für Flüchtlinge» unterstützen, den die Uno-Vollversammlung 2016 verabschiedete. Das Paket, auch New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten genannt, soll den Schutz von Flüchtlingen und Migranten verbessern.

Vera Rüttimann, kath.ch