12.11.2020 – Editorial

Bleiben Sie dran!

Gastwirte, Künstlerinnen und Veranstalter klagen besonders über die Ende Oktober verkündeten Corona-Vorschriften. Bei ihnen geht es an die Existenz, es fehlt das Einkommen. Auch die Religions­gemeinschaften sind betroffen, wenn auch nicht in erster Linie ­finanziell. Besonders spürbar sind die Einschränkungen beim Singen in der Kirche. Am 29. Oktober verkündete der Bundesrat ein Verbot aller Auftritte von Chören, bei Laienchören auch der Proben. Seither können die Kirchenchöre nicht mehr zusammenkommen, und das auf unbestimmte Zeit. Aber auch das Singen der Gottesdienstbesucher ist zu einem grossen Teil verstummt. Entweder wird ganz darauf verzichtet, oder es werden nur ganz vereinzelte Strophen gesungen. Mit Maske.

Gottesdienst ohne Singen, was ist das? Singen ist Beten, aber einfacher, direkt aus dem Herzen. Es ist vielleicht die ursprünglichste Form des Betens. Gibt es eine Religion, in der nicht gesungen wird? Offenbar haben die Menschen überall auf der Erde das Singen als die Sprache empfunden, in der Gott sie versteht. «Singen ist die eigentliche Muttersprache des Menschen», meinte Yehudi Menuhin.

Beim Singen haben diejenigen das Wort, die sonst in der Liturgie schweigen. Ins Singen kann man hineinlegen, was man nicht auszusprechen versteht. Singen, ob im Kirchenschiff oder im Chor, ist Beteiligung am Gottesdienst. In der Kirche dürfen auch die mitsingen, die sonst sagen, sie könnten nicht singen. Und in den meisten Kirchenchören ist auch willkommen, wer einfach gern singt, ohne dabei herauszustechen. Singen tut gut. Es stärkt Ausgeglichenheit und Widerstandskraft auch von Menschen, deren Gesundheit angeschlagen ist.

Das unbefristete Aussetzen von Chorproben kann die Existenz von Kirchenchören in Frage stellen. Davor warnt die langjährig in der Schweizer Kirchenmusikszene engagierte Sandra Rupp Fischer, Initiantin und Leiterin der Kirchenklangfeste Cantars. Sie findet, das Singen hätte jetzt eine grosse Welle der Wertschätzung nötig.

Sollte Corona zum schleichenden Verschwinden von Kirchenchören oder gar zum Rückgang des Volksgesangs in unseren Kirchen führen, wäre das eine riesige Verarmung. Es ist darum wichtig, dass Laien und Profis in der Kirchenmusik gerade jetzt, in einer Phase von Verbot und Verzicht, Zeichen bekommen, wie sehr sie vermisst werden. Den vielen Tausend Sängerinnen und Sängern in unseren Kirchenchören kann man nur zurufen: Bleiben Sie dran!

Christian von Arx