Katastropheneinsatz nach einer Gerölllawine im indischen Himalayagebiet. Eine Gruppe von Helfern sucht nach Verschütteten. | © wikimedia/Press Information Bureau India
Katastropheneinsatz nach einer Gerölllawine im indischen Himalayagebiet. Eine Gruppe von Helfern sucht nach Verschütteten. | © wikimedia/Press Information Bureau India
05.06.2021 – Impuls

Ezechiel 34,11.14a.15f.

So spricht Gott, der Herr: Siehe, ich selbst bin es, ich will nach meinen Schafen fragen und mich um sie kümmern … Auf guter Weide werde ich sie weiden und auf den hohen Bergen Israels wird ihr Weideplatz sein … Ich, ich selber werde meine Schafe weiden und ich, ich selber werde sie ruhen lassen – Spruch Gottes, des Herrn. Das Verlorene werde ich suchen, das Vertriebene werde ich zurückbringen, das Verletzte werde ich verbinden, das Kranke werde ich kräftigen. Doch das Fette und Starke werde ich vertilgen. Ich werde es weiden durch Rechtsentscheid.

Einheitsübersetzung 2016

 

Bild der Hoffnung: Gott räumt auf!

«Ha, ha! Schön wärs! Aber die Erfahrung zeigt, dass kein Gott diese Welt lenkt!» Nein, lachen Sie bitte nicht, wenn Sie die Ankündigung des Ezechiel lesen: Gott wird eingreifen und sich kümmern. Aber Ihre Erfahrung ist auch richtig: Kein Unglück wird verhindert durch die Wundertat eines allmächtigen Gottes.

Die Frage ist natürlich, wie wir diese Welt lesen und wo wir Gottes wirksame Anwesenheit zu erkennen glauben. Es gibt die frommen Zyniker, die behaupten, alles wäre noch viel schlimmer, wenn Gott nicht ständig noch grösseres Unrecht verhindern würde. So könne man also Gottes Taten nur vermuten. Immerhin seien seltene unerklärliche Rettungen Hinweise auf solches Eingreifen des Himmels.

Andere bemerken, die Sintflutmethode, nach der Gott das Unrecht mit Gewalt von der Welt abräumt, habe sich nicht bewährt. Der Preis sei zu hoch gewesen, und gelernt hätten die Menschen auch nichts. Also habe sich Gott zurückgezogen und lasse der Welt nun ihren Gang. Ezechiels Vision von der behüteten Herde der Gerechten sei auf das Jenseits bezogen. Erst am Ende der Zeit werde der Schutz durch Gott sichtbar. Für die Profiteure der Ungerechtigkeit ist das keine sehr beunruhigende Nachricht.

Trotzdem brauchen wir Bilder der Hoffnung, damit wir in bedrohlichen Lebenslagen bestehen können. Bilder der Hoffnung sind es, die Ezechiel in uns wachruft, seien dies nun Träume oder Visionen. Menschen brauchen sie in Krisen, in ganz persönlichen ebenso wie in gemeinschaftlichen oder gar weltweiten. Und diese Bilder für Gottes Engagement sind mehr als Vertröstungen auf ein besseres Jenseits. Sie rütteln wach und wecken Kräfte für menschliches Wirken. Menschen stehen auf und übernehmen Verantwortung. Sie schauen hin auf die Leiden und nennen das Unrecht beim Namen. Sie handeln mutig und entschlossen, auch wenn sie sich damit unbeliebt machen. Sie sind kritisch und nehmen dafür eigene Nachteile in Kauf.

Gottes Kraft, Gottes Eingreifen wird in Menschen sichtbar, die sich von der Vision beschützten Lebens bewegen lassen. Vielleicht wird erst am Ende der Welt das Gottes Reich sichtbar, aber es entsteht jetzt, dort, wo Menschen im Namen des Lebens aufstehen gegen die Mächte des Todes. Das geschieht ebenso in öffentlichen Auftritten und geschichtswirksamem Handeln wie im Ausharren an der Seite leidender Menschen. Weniges davon wird bekannt und gewürdigt, aber wirksam bleibt jede kleinste Tat der Liebe als Kraft für die Menschheit.

Norbert von Xanten war einer von den relativ wenigen, die bekannt geworden sind. Er ging seinen innovativen und aufrichtigen Weg trotz heftigen Widerspruchs. Auch Hans Küng scheute Widerstände nicht. Und all die anderen weniger aktuellen und von den Medien nicht wahrgenommenen Menschen, die aufstehen für Wahrheit und Liebe: Keiner ist unbedeutend. Sie alle sind Teil dieser Vision des Ezechiel. Die radikalste Umsetzung erfuhr diese Vision in Jesus Christus, dem Unbeugsamen. Aber die Pfingstkraft, wie wir die göttliche Ankündigung bei Ezechiel auch nennen können, wirkt in jedem von uns. Gott räumt auf, indem er Menschen schickt.

Ludwig Hesse, Theologe, Autor und Teilzeitschreiner, war bis zu seiner Pensionierung Spitalseelsorger im Kanton Baselland