20.06.2019 – Editorial

Bewegung

Alles steht still, nichts geht mehr. «Die Tramlinien durch die Innerstadt sind blockiert», meldet die Leitstelle der Basler Verkehrsbetriebe am späteren Nachmittag des 14. Juni. Der Grund ist für einmal nicht «die Verkehrssituation», wie es meistens nichtssagend heisst, die Ursache wird ganz konkret beim Namen genannt: Frauenstreik.

Um 17 Uhr ist auf dem Platz vor dem Basler Stadttheater und den angrenzenden Strassen kein Durchkommen mehr, auf jeden Fall nicht für Trams. Diese stehen nun auf der Umleitungsroute Schlange, und die Fahrgäste stehen wartend an den Haltestellen. Vorwärts kommt nur noch, wer sich selbst in Bewegung setzt.

Auf dem Basler Theaterplatz zeigt sich, dass der Slogan «Wenn Frau will, steht alles still» auch 28 Jahre nach dem ersten Frauenstreik funktioniert. Zu Tausenden sind Frauen erschienen, von sehr jung über mittelalterlich bis alt, viele in Pink oder Lila gekleidet, mit dabei sind aber auch Männer, ebenfalls unterschiedlichen Alters. Auf rund 40 000 Menschen schätzen die Verantwortlichen den Aufmarsch zur Demonstration in Basel.

Schweizweit sind rund eine halbe Million Frauen dem Aufruf zum Frauenstreik gefolgt und versammeln sich zu Kundgebungen in den grossen und kleineren Städten. Das Ausmass der Beteiligung ist überwältigend. Und es macht klar: Längst nicht nur linke Feministinnen sind davon überzeugt, dass die Stellung der Frauen in der Schweiz noch nicht dem Auftrag von Verfassung und Gesetz entspricht, bei aller Anerkennung der Fortschritte seit 1991.

Natürlich gibt es auch objektive Gründe für die Differenzen beim Lohn, aber ein nicht unbeträchtlicher Teil bleibt unerklärt. Und wie lässt es sich begründen, dass das Lohnniveau gerade in typischen Frauenberufen tiefer ist? Und warum ist der Lohnunterschied (zu Ungunsten der Frauen) ausgerechnet in den oberen und mittleren Kadern überdurchschnittlich gross? Und warum ist das Thema «Vereinbarkeit von Beruf und Familie» für Frauen nach wie vor von einer ganz anderen Tragweite als für Männer?

In der katholischen Kirche stellen sich noch ganz andere Fragen. Hier ist selbst auf dem Papier die Gleichstellung nicht verwirklicht. Wie lässt sich das mit dem Glauben daran, dass wir alle Abbild Gottes sind, vereinbaren?

Regula Vogt-Kohler