Auf dem Podium (v.l.): Stefan Junger, Valeria Hengartner, Abt Peter von Sury, Martin Dürr. | © Regula Vogt-Kohler
Auf dem Podium (v.l.): Stefan Junger, Valeria Hengartner, Abt Peter von Sury, Martin Dürr. | © Regula Vogt-Kohler
05.03.2019 – Aktuell

Auch Seelsorgende brauchen Seelsorge

750 Jahre Predigerkirche: Podium zu «Seelsorge – gestern, heute, morgen»

Was ist eigentlich Seelsorge? Zu dieser und anderen Fragen unterhielt sich Michael Bangert, Pfarrer an der christkatholischen Predigerkirche in Basel, mit dem Armeeseelsorger Stefan Junger, der Spitalseel­sorgerin Valeria Hengartner, Abt Peter von Sury und Martin Dürr vom Pfarramt für Industrie und Wirtschaft.

 

Was ist besonders bereichernd bei der Tätigkeit in der Seelsorge? Mit dieser Frage eröffnete Michael Bangert das Podium in der Basler Predigerkirche, deren Weihetag sich in diesem Jahr zum 750. Mal jährt. Das Jubiläum gibt Anlass zu verschiedenen Aktivitäten, am 26. Februar war es eine Podiumsveranstaltung zu verschiedenen Aspekten und Formen der Seelsorge.

«Die Begegnung mit Menschen», beantwortete Valeria Hengartner, römisch-katholische Seelsorgerin am Universitätsspital Basel und Leiterin des Projekts Palliative Care der Römisch-katholischen Kirche Basel-Stadt, die Einstiegsfrage. Aufmerksam zuhören, einfach da, präsent sein – das ist für die Spitalseelsorgerin der Kern ihrer Tätigkeit.

«Seelsorge ist Begegnung mit Menschen», formulierte es Peter von Sury, Abt des Benediktinerklosters Mariastein. Indem er als Seelsorger herausgefordert sei, mache er die Erfahrung, dass er selbst eine Seele habe und auch Seelsorge nötig habe. Das gilt wohl in diesen Tagen ganz besonders. Als katholischer Priester sei er auch Repräsentant einer Institution, die eine gewaltige Krise durchmache, auch eine Glaubwürdigkeitskrise, sagte von Sury. Das mache ihn nachdenklich. Aber nach wie vor kämen Leute zur Beichte oder zu einem Gespräch mit einem Priester nach Mariastein. Dabei gelte es, auf ganz unterschiedliche Erwartungen differenziert einzugehen. Noch einmal etwas ganz anderes sei das Leben in der Klostergemeinschaft.

 

Nicht alles ist ok

Der reformierte Pfarrer Martin Dürr, Co-Leiter des ökumenischen Pfarramts für Industrie und Wirtschaft beider Basel (PIWi), knüpfte bei der Beichte an. Sie könne etwas ungeheuer Hilfreiches sein. Nicht in jedem Fall sei die Aussage «Es ist schon ok» angebracht, nicht alles was man mache oder unterlasse, sei in Ordnung. Beichte heisst einzugestehen und zu akzeptieren, etwas getan oder nicht getan zu haben, was nicht ok sei, und sich dabei Gottes Vergebung gewiss zu sein. Seelsorge sei etwas anderes als psychologische, psychotherapeutische oder psychiatrische Begleitung, betont Dürr. «Als Seelsorger habe ich eine andere Funktion.» Für ihn ist zentral, das Gegenüber als einen von Gott geliebten Menschen anzuschauen.

 

Vorurteile abbauen

Beim PIWi komme er mit Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft ins Gespräch, berichtete er. Immer wieder mal begegnet er dabei auch falschen Vorstellungen seiner Tätigkeit, die teilweise auf längst überholten Formen von Seelsorge basieren. Diese Erfahrung macht auch Spitalseelsorgerin Hengartner. Die Befürchtung, dass da jemand mit der Bibel in der Hand kommt und sagt, wo Gott hockt, geistert noch immer herum. «Der lange Schatten der Kirche ist nicht förderlich», sagte Hengartner. Vor allem ältere Menschen, die negative Erfahrungen mit der Kirche gemacht haben, reagieren ablehnend auf das Angebot der Spitalseelsorge. Sie müsse dann zuerst einmal Vorurteile abbauen, das sei anstrengend, sagte Hengartner.

In der Seelsorge habe es immer wieder andere Schwerpunkte gegeben. Heute gehe es darum, individuell auf den Einzelnen einzugehen. «Jeder ist ein Sonderfall», meinte sie. Die Kirche könne nicht mehr für sich in Anspruch nehmen zu wissen, was für jeden und jede richtig sei. Sie sei extrem zurückhaltend, sagte sie. Ihr Vorbild dabei sei Jesus mit der Frage «Was möchtest du, was ich für dich tue?»

 

Weite und Offenheit

Seelsorge in der Wirtschaft, im Spital, in der Armee, das ist nicht selbstverständlich, aber dennoch erstaunlich unbestritten. Das Angebot sei erwünscht, interessanterweise stelle niemand es in Frage, hielt der Armeeseelsorger Stefan Junger fest. Er ist aber davon überzeugt, dass es sofort verschwinden würde, wenn es sich nicht an Weite und Offenheit orientieren würde. Es gehe darum, mit Menschen authentische Stückchen Leben zu teilen.

Valeria Hengartner wies darauf hin, dass sich in der Spitallandschaft die Seelsorge sehr schnell ändere. Die Seelsorge müsse kompatibel werden mit dem Gesundheitssystem, «sonst fliegen wir raus». Hengartner liess damit durchblicken, dass das Verhältnis Spital und Seelsorge schwierig und die Zukunft der Spitalseelsorge unsicher ist, sie betonte aber auch, dass die Zusammenarbeit mit dem Konsiliardienst Palliative Care am Basler Unispital hervorragend sei.

 

Einfach da sein ist Trost

Das schon zu Beginn genannte «einfach da sein» tauchte bei der Frage nach Trost wieder auf. Was tröstet aus der Sicht erfahrener Seelsorgender? «Die Erfahrung, dass sich jemand meiner annimmt», sagte der Armeeseelsorger. «Helfen auszuhalten, nicht viele Worte machen, einfach da sein», meinte die Spitalseelsorgerin. Und manchmal gebe es keinen Trost: Genau so wichtig sei es, Trostlosigkeit auszuhalten. «Die persönliche Anwesenheit», sagt der Abt. Trost lasse sich nicht erzwingen, sondern werde geschenkt. «Aufnehmen, was jemand mir sagt», sagte der Industriepfarrer.

Regula Vogt-Kohler