Die Taufe Jesu, Mosaik im Baptisterium der Arianer in Ravenna. Die Erklärung zur gegenseitigen Taufanerkennung von 2014 ist Teil der Umsetzung der «Charta Oecumenica» in der Schweiz. | © Regula Vogt-Kohler
Die Taufe Jesu, Mosaik im Baptisterium der Arianer in Ravenna. Die Erklärung zur gegenseitigen Taufanerkennung von 2014 ist Teil der Umsetzung der «Charta Oecumenica» in der Schweiz. | © Regula Vogt-Kohler
21.04.2021 – Aktuell

«Katholiken denken noch zu zentralistisch»

Die «Charta Oecumenica» brachte einen neuen Stil in die Zusammenarbeit der Christen

20 Jahre «Charta Oecumenica»: Das feiern am 22. April die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der Schweiz (AGCK.CH) und das Institut für Ökumenische Studien der Universität Freiburg. Raphael Rauch, Redaktionsleiter von kath.ch, hat mit Barbara Hallensleben, Professorin für Dogmatik und Theologie der Ökumene in Freiburg, gesprochen.

Sie feiern am Donnerstag «20 Jahre Unterzeichnung der Charta Oecumenica». Was ist das überhaupt?

Barbara Hallensleben*: Wir feiern ein Ereignis der Ökumenischen Bewegung auf europäischer Ebene. Die «Charta Oecumenica» hat einen neuen Stil in die Zusammenarbeit der Christen gebracht. Sie besteht aus zwölf Impulsen, die in Selbstverpflichtungen der Kirchen münden. Das Dokument ist erfrischend kurz und gut lesbar. Dieser Text hat keine kirchenrechtliche Verbindlichkeit.

Wo gehen die Impulse weiter als das Kirchenrecht?

Die Charta betont die Freiwilligkeit des gemeinsamen Handelns ohne rechtliche Verpflichtung. Das ist weniger als das Kirchenrecht, weil die Verbindlichkeit fehlt. Es ist aber auch mehr als das Kirchenrecht. Was nützen kirchenrechtliche Anordnungen, wenn niemand sie befolgt? In keinem Fall nötigen die Verpflichtungen zum Übertreten des Kirchenrechts.

Was hat die «Charta Oecumenica» verändert?

Vor zehn Jahren sagte der französische Bischof Gérard Daucourt: «Es ist nicht an uns, Erfolgsdiplome für die Gnade auszustellen.» Aber einige wichtige ökumenische Errungenschaften lassen sich doch recht klar auf die Charta zurückführen: etwa die breite Einführung eines Schöpfungstages und der Schöpfungszeit Anfang September, ökumenische Projekte zur «Heilung der Erinnerungen» in Ländern mit kontroverser Geschichte – und die gegenseitige Taufanerkennung.

Auch gab es starke diakonische Signale: Papst Franziskus, Patriarch Bartholomäus und Erzbischof Hieronymus von Griechenland haben 2016 Lesbos besucht und den Abschnitt 8 der Charta aufgegriffen: «Gemeinsam wollen wir dazu beitragen, dass Migranten und Migrantinnen, Flüchtlinge und Asylsuchende in Europa menschenwürdig aufgenommen werden.»

Wie sieht die Umsetzung in der Schweiz aus?

Wir haben in der Schweiz 2014 eine Erklärung zur gegenseitigen Taufanerkennung unterzeichnet und diese 2016 erweitert – und zwar um die Anerkennung der Taufe der Neuapostolischen Kirche. Nicht zu vergessen sind die lokalen Arbeitsgemeinschaften Christlicher Kirchen in den Kantonen und Regionen. Sie arbeiten nahe an der Basis. In gewisser Weise entspricht ja die gesamte Arbeit der AGCK.CH dem Geist der «Charta Oecumenica». Allerdings wird die AGCK.CH nicht 20, sondern 50 Jahre alt.

Aus der Schweizer Pastoral ist oft zu hören: «Vor 20 Jahren waren wir in der Ökumene weiter. Jetzt blockiert Rom alles, zum Beispiel beim gemeinsamen Abendmahl.» Warum verteidigen Sie Kardinal Koch, der beim gemeinsamen Abendmahl bremst?

In der Feier am 22. April werden Sie sehen, wie Kirchen, die keine Abendmahlsgemeinschaft miteinander haben, doch miteinander handeln können – und zwar sogar aus dem Glauben handeln. Vor 20 Jahren wäre es zum Beispiel undenkbar gewesen, dass ein orthodoxer Christ die AGCK.CH leitet. Und vermutlich wäre die konstruktive Zusammenarbeit mit freikirchlichen und evangelikalen Gruppen gar nicht im Blick gewesen.

Vielleicht wird das Bemühen um Eucharistiegemeinschaft gerade dadurch unrealistisch, dass die Kirchen bislang nicht genug echte Gemeinsamkeit auf allen Ebenen entwickelt haben, um die eucharistische Mitte ihres Lebens bereits miteinander zu teilen. Hier kann die Charta eine Wegbereiterin sein.

Eine ökumenische Einrichtung der Schweizer Kirchen und ein universitäres Institut – wie kommt es zu dieser Zusammenarbeit?

Das Institut für Ökumenische Studien der Universität Freiburg ist eine akademische Einrichtung für Lehre und Forschung. Aber es gehört zu unserem Profil, dass wir im Austausch mit dem konkreten kirchlichen und ökumenischen Leben arbeiten. Wenn wir Studierende ausbilden, sollen sie ja befähigt werden, kompetent im Feld der Ökumene arbeiten zu können. Wir arbeiten sowohl mit den Westkirchen als auch mit den Ostkirchen. Und wegen unserer Zweisprachigkeit konnten wir helfen, die Veranstaltung komplett zweisprachig zu planen. Die Zusammenarbeit mit der Generalsekretärin der AGCK.CH, Anne Durrer, und mit dem Präsidenten Milan Kostrešević war sehr angenehm und anregend.

Ist die Feier in der Schweiz einzigartig oder gibt es vergleichbare Initiativen?

Die beiden grossen Träger der «Charta Oecumenica», die «Konferenz Europäischer Kirchen» (KEK) und der «Rat der Bischofskonferenzen Europas» (CCEE), laden online zu einem ökumenischen Gottesdienst am 22. April ab 19 Uhr ein. Die ACK Deutschland hat coronabedingt die ursprünglich geplante Feier ohne nähere Präzisierung in das Ökumene-Jahr 2021-2022 integriert.

In der Tat ist die Initiative in der Schweiz etwas ganz Besonderes, schon deshalb, weil alle zwölf Mitgliedskirchen der AGCK.CH und die vier Mitglieder mit Gaststatus mitwirken, indem sie je einen Abschnitt der Charta verlesen und aus der Perspektive ihrer Kirche kommentieren. Die beiden Generalsekretäre von KEK und CCEE, Jørgen Skov Sørensen und Pater Martin Michalíček, sind mit Grussworten dabei. Es gibt auch zwei Überraschungsgäste – aber das verrate ich heute noch nicht!

Was können Sie auf europäischer Ebene, was Kardinal Koch auf globaler Ebene nicht kann?

Trotz des II. Vatikanischen Konzils denken Katholiken immer noch sehr zentralistisch. Ökumene spielt sich dort ab, wo Christen miteinander leben, sich persönlich kennen und die jeweiligen Herausforderungen vor Ort miteinander teilen. Der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen, den Kardinal Koch leitet, gibt «Leitlinien» – wie die «Charta». Er hat eine koordinierende Funktion. Er will die Arbeit vor Ort ermutigen und begleiten, nicht ersetzen. In der katholischen Soziallehre nennt man dieses Prinzip «Subsidiarität»: Die höhere Instanz soll nur eingreifen, wenn die unmittelbar Betroffenen nicht selbst fähig sind, die Aufgabe zu übernehmen.

Wie sehen Sie die Zukunft der «Charta Oecumenica»?

Die Selbstverpflichtungen der Charta sind bislang kaum in ihrem spezifisch kirchlichen Charakter reflektiert. In der Regel wird negativ betont, dass sie weder einen theologisch-dogmatischen noch einen kirchenrechtlich verbindlichen Charakter haben.

Und dass strittige Fragen wie das gemeinsame Abendmahl nicht vorankommen…

Aber könnte man in dem Miteinander der Kirchen nicht auch Zeichen einer «ökumenischen Synodalität» sehen? Papst Franziskus definiert Synodalität wesentlich als «aufeinander hören» und «miteinander auf dem Weg sein». Das gilt auch für die Kirchen in ihrem Miteinander auf der Grundlage des bezeugten Glaubens.

Die gegenseitige Taufanerkennung ist bereits ein solcher Schritt: Sie ist weder allein ein theologischer Konsens noch eine moralische Selbstverpflichtung, sondern im strikten Sinne ein Schritt «gradueller Synodalität» mit konkreten Folgen für verbindliches kirchliches Handeln. So könnte sich das 20-Jahre-Jubiläum der «Charta Oecumenica» als der erste Schritt zu einer neuen «ökumenischen Synodalität» erweisen.

Interview: Raphael Rauch, kath.ch

 

* Barbara Hallensleben (64) ist Professorin für Dogmatik und Theologie der Ökumene in Freiburg. Sie ist Konsultorin des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen und Mitglied der Internationalen orthodox-katholischen Dialogkommission. Hier geht’s zum Programm der Festtagung – und hier zum Livestream.